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Mein Sitzsatz aus „Gänseblümchen“
Plötzlich wird mir bewusst, wie viel Glück ich habe, in so einem liebevollen Umfeld zu leben. Mit Menschen, die nicht verurteilen, für die ein Outing gar keine große Rolle spielt. (…) Die mich einfach lieben, wie ich bin. Die Welt braucht mehr von dieser Liebe.
aus „Gänseblümchen: Eine sehr queere Geschichte“ von Elias Finley
… sagt Rick. Ich-Erzähler und Hauptfigur in „Gänseblümchen“.
Seine Leidenschaft gehört dem Garten. In dem gibt’s viele ganz akkurat angelegt, hübsche Eckchen. Und es gibt noch den ganz besodneren Ort: ein wildes Blumenbeet. Die Liebe, um die es in „Gänseblümchen“ geht, die muss ebendort gewachsen sein. „Gänseblümchen“ kultiviert darüberhinaus Zugewandtheit und Offenheit (open-mindedness). In der Kern- und Wahl-Familie. Über Unverständnis und Unkenntnis und Verleugnen hinweg. Zwischen Friends und Paaren und Ex-Paaren. Liebe — ein Wort, in dem so viel unterschiedliche Konzepte aufblühen können, wie es Raum dafür gibt; ich möchte für Gänseblümchen deshalb „die Liebe(n)“ sagen lieber : )
Info am Rande: Hier kommt keine Zusammenfassung des Inhalts. Von meinem Sitzsatz aus nehme ich euch „nur“ mit zu dessem Kontext und seiner Wirkung. Den Plot-Anriss könnt ihr aber am besten im Anschluss bei Queer Pack nachlesen.
Und: Was ist eigentlich ein Sitzsatz? die Definition steht in der Sitzsatz-Philosophie : )
Zwischen den Buchdeckeln dieser „sehr queeren Geschichte“ vergeht ca. ein Jahr. Zeitrechnung: Nach den Sommerferien bis Start nächste CSD-Saison. Setting und Mind-Set sind als Beete klar abgesteckt: heranwachsende Menschen kurz vor dem Abi; wir pendeln mit Rick im Groben zwischen der Schule und dem Garten zuhause (wobei Garten auch mal weit gefasst die „Spielwiese“ zwischen den Bettlaken inkludieren soll, hust). Wir sehen ihm und den anderen beim Wachsen zu: ihm, dem „Gänseblümchen“, Vyhn (als Ricks „best friend“ mit „stacheligem“ Temperament liebevoll als „Kaktus“ tituliert) , Bo und Auri.
Vor den Buchsseiten habe ich alle Emotionen, die dabei rausfallen auf jeden Fall sehr nachgespürt: (Tee ausprusten vor) Lachen, tiefstes fremdschämen, schweres oder gebrochenes Herz, Freundschaftskummer, angetörnt sein, ratlos sein, zum Platzen stolz sein. Wenn das ein Buch kann, dann kann es was!
Fest zugeordnete Schubladen sind in „Gänseblümchen“ nur dazu da, damit der pingelig ordentliche Rick seine Klamotten verstauen kann. Identitäten und Sexualitäten, Rollenzuschreibungen und Styles (oder auch ‚Performance‘ im queer-therotischen Sinne (Nickelbrillen-Emoticon) werden selbst bestimmt gefunden und gelebt. Passen sie nicht so, wie gesellschaftlich anerzogen, werden sie in softer oder direkter Rebellion abgelehnt. „Born this way“!
Das alles ist so stark. Und bisher weiterhin leider weder in Einzellieferungen noch im Gesamtpaket als „normal“ akzeptiert.
Deshalb halt ich’s mit meinem Sitzsatz und sage leicht abgeändert: Die Welt braucht mehr von diesen (Young Adult-)Büchern!
das A&O
Die Menschen von Queer Pack kenne und mag ich sehr, beides schon seit mehreren Jahren. Zum Release von Gänseblümchen haben sie mir ein Rezensionsexemplar zukommen lassen und dafür soll hier noch einmal mein blaubester Dank stehen! Werde das Buch aber selbst noch mindestens zweimal kaufen und verschenken.
Wo steht der Sitzsatz?
- Titel: „Gänseblümchen: Eine sehr queere Geschichte“
- Autor: Elias Finley
- Details: Juli 2021 bei Queer Pack erschienen, 376 Seiten bzw. 99.036 im E-Book
Darf’s ein bisschen mehr sein?
Über Bo & Co würde ich sofort weiterlesen wollen, falls es mehr „sehr queere Geschichten“ über diese (oder auch andere) Figuren geben wird. Elias Finley hat in „Gänseblümchen“ so liebenswürdige und vielseitige Menschen erdacht. Es ist ein bisschen schade, dass einige im voranschreitenden Hauptplot mehr auf ihre reinen „Funktionen“ zurückfallen müssen. Damit meine ich allen voran Vynh. Und looking at you, Waldschat + Gentleman (aka die Großväter – und was ist eigentlich mit der Familie des zweiten Elternteils von Rick?)
Mit Bo oder auch so: Gerne mehr Elias Finley! Und gerne mehr YA bei Queer Pack!
Ein Blümchen hab ich noch
Wie vermittele ich die Großartigkeit dieses Buchs – ohne zu Spoilern? Ich sag’s durch die Blume!
Acht bunte Blätter haben die Blumen meiner Illustration. Acht bunte Punkte möchte ich random aus „Gänseblümchen“ herausgreifen:
1) Davor und danach: Wie Queer Pack Lesende nicht auflaufen lässt
Es gibt ein Vorwort, das die Lesenden sowohl mit dem Begriff „nichtbinär“ als auch mit einem Neopronomen und seiner Aussprache einleitend bekanntmacht. Dort steht auch: „Es ist okay im Lesefluss zu stocken, weil sier neu ist.“ Das passiert auch den Figuren im Buch und sie leben sozusagen einen tollen Umgang damit vor.
„Ohne Repräsentation gibt es keine Veränderung“, spricht das Vorwort aus Finleys Munde und das ist so wahr. Ich schicke den Wunsch los, dass das Buch Jugendliche beschenkt, die in Geschichten diese Repräsentation zu oft vergeblich gesucht haben. Und ich hoffe, es landet in vielen weiteren Händen und Köpfen, die nicht selbst queer sind, aber an den Geschichten (dringend) teilhaben sollten.
Und zu guter Letzt: Nach der Erzählung und dem Epilog folgt eine gewissenhafte Triggerliste zu jedem Kapitel. Das habe ich so noch nie gesehen und finde, dass sich das auch noch mehr verbreiten darf. Toll gemacht, Queer Pack!
2) Mein Herz für unwichtige Details
Also, Rick wohnt ja im Dorf Ültrich? Klingt doch so, als ob wir es kennen könnten und halt nur aus einleuchtenden Gründen nicht kennen, oder? Gibt’s aber gar nicht! Muss man auch erst mal hinkriegen!
3) Schwierige Figuren, schwer interessant
„Gutschein für einen Tag Arschlochfrei“. Ab da war ich Bo-Fan, ich sag’s wie’s ist : )
4) What's in a name?
„Gänseblümchen“ lässt über die Bedeutung und nur vermeintliche Unumstößlichkeit von Namen nachdenken. So können Namen eine Bürde sein, weil Gender an sie geknüpft wird. Das ist nur ein Beispiel aus „Gänseblümchen“, doch es finden sich durchgängig weitere in die Geschichte eingewoben, sowohl auf der „Downer“ als auch auf der „Empowernment“-Seite!
5) Go love yourself!
Ricks Gender-Performance ist nicht Mainstream-männlich/maskulin. Schlussfolgerung der Sport-LK-Dudes: schwul. Mehrfach gemachter Punkt im Buch: Rick stellt das nie klar, also, er widerspricht nie. Und wandelt damit das, was als beleidigende Herabwürdigung abgeschickt war, wieder zu dem um, was es ist: Nichts, von dem man sich distanzieren müsste. Geheime Super-Power!
6) So soll das
Safer Sex kommt vor. In Theorie und Praxis. Finde ich erwähnenswert.
7) Nicht ernstgemeinter Quatsch
Rick bekommt ein spontanes Stick’n Poke-Tattoo. Klar, ein Gänseblümchen. Auf seinen Rippenbogen. Da in dieser Szene eh schon ein Kalauer vom Zaun gebrochen wird, den ich nicht spoilerfrei durchstechen kann (haha, oder doch?), hätte ich einen weiteren Wortwitz parat. Tattoo auf dem Rickenbogen?
8) Was wäre eine Alternative?
Es gibt zwei Passagen, in denen Figuren in der vollbesetzten Schulaula ans Mikro treten, um zu ihrer Stufe zu sprechen. Einmal, um sich zu outen. Das andere Mal nach einem Zwangsouting. Sie haben mich ihrer Präsentierteller-artigkeit regelrecht schockiert. Für den Effekt im Buch jedenfalls sind sie wahrscheinlich dienlich, da sie die Figuren auf diese Weise überdeutlich für sich sprechen und eintreten lassen.
Schaut auch auf Instagram nach meiner Story zu ‚Gänseblümchen‘ im Highlight ‚Buchbesprechung‘.
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