Neue Sätze aus alten Texten
Wie kreiert man ein Gedicht aus und auf einer Buchseite? Man nimmt sich die Seite und übermalt alle Worte, die nicht dazu gehören! Der berühmte Witz übers Bildhauen umgedichtet auf #blackoutpoetry.
Was ist „Blackout Poetry (with art)“? Ein zweites Leben für alte Bücher und Zeitungsartikel: Sie werden zu einer eigenen Kunstform. Naja, im ‚besten‘ Fall. In jedem Fall aber zu einer spaßigen Formkunst. Lehrer*innen, Buchmenschen und Telefondoodle-Liebhaber*innen: Ich wette, ihr werdet größte Freude an dieser erschaffenden Dekonstruktion haben. Aber wie findet man die versteckten Gedichte (Hidden Poetry), wie verschönert man sie und was braucht man dazu?
Das Netz ist voller Bilderund Tutorialszu Blackout Poems – auf Englisch. Mit Blaustift hervorzuheben ist allerdings Dirk Bathen und seine selbsternannten „Textverdunklung“. Er hat bereits zwei ganz und gar nicht dunkle Bücher zu Magazin-Blackouts veröffentlicht und stellt diese „Ausstreichbildchen“ online als Abwechslung bringende Workshopübung vor. In den anderen Qellen wird das „Blackout“, also das „Schwarzmalen“ mit dicken Markern jedoch meist recht wörtlich genommen. das A&O befand: Zeit für neue Worte und einen eigenen Hashtag, der (deutschsprachige) Buchkunst filtert (die auch nicht immer ganz so schwarz sein muss). Hallo #verstvers und willkommen zu meinem Überblick der „Versteckten Verse“!
Ein paar Versteckte Verse von das A&O
Inspiration durch Beispiele und Vorschläge für Material
Vorab: Meiner Meinung nach kann es keine direkte „Anleitung“ zum Finden „Versteckter Verse (#verstvers)“ geben. Meine Artikelüberschrift dient also erst einmal dazu, dass Interessierte leicht auf diesem Artikel landen ;) Findet ihr doof? Aber nein! Denn was es sehrwohl gibt und ich euch geben kann, ist Inspiration durch Beispiele und Vorschläge für Material. Der „Prozess“ des Kreativ sein hingegen kann immer nur lauten:
- Nimm dein Material
- Sei kreativ
Von dort aus liegt es bei euch und ich bin sicher, ihr habt alles, was es für Punkt 2 braucht, schon dabei! Los geht’s also in meinem Nicht-Tutorial auf dem Weg zu „Hidden Poems in Books“!
Schritt 1 „darunter“: Material sichten
Die Frage „woher nehmen?“ könnt ihr vermutlich alle im Handumdrehen beantworten – mindestens im Schuhsolenumdrehen mit Blick auf euren Stapel aussortierter Bücher oder ausgelesener Zeitungen und Magazine. Bücherflohmärkte und anderweitig ausgesetzte Bücher bieten genauso eine unerschöpfliche Quelle und geben alten Büchern noch mal neue Farbe, ein schönes Upcycling.
Buchstäblich jede Seite ist die richtige!
Kniffliger erscheint zunächst das Auswählen: „Welche Seite genau?“ Mein Rat: Versucht es erst gar nicht, zumindest nicht inhaltlich. Wählt eure Basis nach Größe und Sprache. Achtet eventuell darauf, dass der Text nicht nur aus optisch „luftig“ wirkendem Dialog besteht. Vielleicht hüpft euch beim Durchblättern doch mal ein bestimmtes Wort entgegen, das euch herausfordert und die Seite gewissermaßen für euch auswählt. Ansonsten gilt der kalte Sprung ins Wortwasser. Buchstäblich jede Seite ist die richtige!
Schritt 2 „dazwischen“: Neu dichten
Ihr habt eure Seite vor euch liegen (einzeln aka ‚ausgerissen‘ oder aufgeschlagen)? Es hilft, als Erstes den Text komplett zu überfliegen, um einen Überblick zu bekommen. Betreibt dieses Lesen als „Inventur“, lasst euch nicht in den Text an sich ziehen. Ihr werdet überrascht sein, welche oft ganz gegensätzliche Bedeutung sich so losgelöst von der Ursprungsaussage aus den Sätzen herausschlagen lässt. Ihr wisst schon, Bildhauen mit Buchstaben.
Legt nach dem ersten Inventarlesen die Gewichtung auf Dichtung. Weg vom Text und ganzen Sätzen
Mir persönlich geht es so, dass ich eine Seite meist bereits wegen eines bestimmten Wortes ausgewählt habe. „Blau“ zum Beispiel ;-) Abhängig von der Art dieses Wortes und seiner Position auf der Seite, puzzle ich dann andere passende Worte drumherum („Puzzle Poesie“ und „Wanderworte“ waren Namen, die ich für „Versteckte Verse“ noch im Kopf hatte). Oft kommt am Ende ein Vers zu einem Thema heraus, das ich gerade mit mir herumtrage und unbewusst hinein gelesen habe (nein, halt, es lag ja schon die ganze Zeit da drin, es musste nur sichtbar gemacht werden.) In anderen Fällen, schreibe ich mir einzelne Worte beim „Inventar-Lesen“ der Seite heraus und schiebe sie „extern“ auf einem Notizzettel solange herum, bis sie mir sinnvoll erscheinen. An diesem Punkt solltet ihr bereits Bleistift, Spitzer und Radiergummi (!) parat haben, um euch fokussierte Worte aufzuschreiben und auf der Seite leicht „einzukasteln“. Ganz „Mutige“ zeichnen zu Beginn mit Outlines ein Objekt auf die Seite, zum Beispiel eine Sonnenbrille und verwenden dann nur Worte, die innerhalb der Gläser liegen. Das schränkt das Suchen zumindest deutlich ein. Zwo – eins – Risiko!
Während dieser Part machnmal als angestrengtes Tüftel und konzentriertes, kleinteiliges Suchen echte Arbeit macht, scheinen die Worte in anderen Momenten förmlich aus der Seite zu springen, sogar so viele, dass sie wie zwei Gedichte erscheinen. Dann gibt es Tage, an denen sind zwar die sich herauslösenden Worte schier per-fekt … stünden sie doch nur in einer anderen Reihenfolge. Für die beiden letzten Fälle nenne ich im dritten Schritt ein paar gestalterische Tricks. Für Ersteres passt eventuell das Folgende: Legt die Seite noch mal weg, refresh. Schaut noch mal neu darauf, von anderen Worten ausgehend oder mit einem neuen Ansatz. Wir neigen oft dazu im grammatikalischen Sinne vollständige Sätze zusammensammeln zu wollen. Nutzt den Versuch, die Gewichtung auf die Dichtung zu legen. Da darf man auch mal Worte slammen und für sich stehen lassen.
Schritt 3 „dazwischen“: Ansicht(en)
Alles, das die Worte deines versteckten Verses betont und/oder die anderen verschwinden lässt, ist von Nutzen
Spätestens ab hier gilt: Du bist die oder der Künstler*in! Wähle die Farbe(n), die dir (für diese Seite) am meisten zusagen: Permanent Markers, Aquarell- oder Buntstifte, Wachsmalstifte. Stempel, Wasserfarben. Bekleben ist möglich, mit Nadel und Faden übernähen. Alles, das die Worte deines versteckten Verses betont und/oder die anderen verschwinden lässt, ist von Nutzen!
So kannst du vorgehen, um Versteckte Verse zu finden:
- Zeilen durchstreichen oder mit Punkten o. Ä. ausblenden
- alle Worte außerhalb deines versteckten Verses komplett ausblocken
- Formen um die Worte ziehen und ausmalen
- waagrechte/senkrechte/schräge (Wellen)linien ziehen, Zwischenräume ausmalen
- statt andere Worte wegzustreichen: die neuen Worte betonen (speziell umranden) und/oder optisch miteinander verbinden (die Lesrichtung vorgeben)
- thematisch passende Symbole/Objekte/Figuren dazu malen
- … dich von durch die endlosen Möglichkeiten treiben lassen und deine ganz persönliche Ausdrucksart der „Versteckten Verse“ finden
Tipps und Tricks für Blackout Poetry:
- Konturen können Betonungen und einen optischen Halt bieten. Bei großen bunten Flächen setzen sie einen „aufgeräumten“ Rahmen
- signiert eure Kunstwerke, besonders, wenn ihr sie ins Netz stellt. So werdet ihr immer als Urheber*In weitergepinnt und geteilt
- Damit beim Übermalen nicht versehentliche die Verse verschwinden, decke ich sie temporär mit „Korrekturband“ (labelling tape) ab
- Mut zur Kürze und wahrhaft „poetischen“ Versen (im Gegensatz zu grammatikalisch korrekten und kompletten Schachtelsätzen. Ein Tipp, den ich mir selbst noch besser „einkasteln“ und ummalen sollte)
- Die Lesrichtung könnt ihr durch verbindende Elemente vorgeben („der rote Faden“) und so im Notfall bei der Reihenfolge auf der Seite tricksen
- Durch Mehrfarbigkeit in der Kolorierung der Worte, lassen sich auch getrennte/mehrere Verse nebeneinander darstellen
- „Versteckte Verse“ sind ein super Geschenk und machen sich klasse in einer Karte oder einem Bilderrahmen
- den eigenen Vers zu finden macht glücklich und ist eine spielerische Weise, Worte zu erkunden. Gebt das (Erfolgs)gefühl weiter und teilt eure Versteckten Verse. Unter #verstvers können wir dann alle stöbern und staunen gehen.
#verstvers Anleitung in Anwendung
Und dieses viel zu verschachtelte, in zwei Linien angelegte Gedicht habe ich für diese „Blackout Poetry“-Anleitung gefunden:
STILLGESTANDEN
Die Welt rief: stillgestanden!
»Aus Gründen«, sagte Marx.
Schweigen brachte das Recht zu berühren zurück.
Schwäche brachte den Tag zurück.das A&O
Ich hoffe, ihr konntet etwas aus den Beispielen und Tipps ziehen. Seid ihr schon vorher einmal über Blackout Poetry gestolpert oder habt selbst Versteckte Verse gefunden? Wenn ihr weitere Tipps oder Fragen habt: her damit! Im Laufe der Woche kommt zudem noch meine Review zur „Versteckte Verse“-Session auf dem Heidelberger Literaturcamp 2016 und einige Bilder von dort. Lasst mich wissen, wenn oben etwas ergänzt oder geändert werden sollte. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen … und natürlich auf euren #verstvers! Farbverschmierte Grüße, das A&O
[…] Das A&O führte uns in der Session „Versteckte Verse“ in das Geheimnis von Blackout Poetry ein. Hier geht es im Wesentlichen darum, einem Text durch das Schwärzen von Wörtern einen neuen Gedichtsinn zu verleihen. „Erschaffende Dekonstruktion“ nennt es das A&O in ihrer Anleitung. […]
[…] bis nur noch dein Gedicht hervorsticht. Im Netz auch als „Blackout Poetry“ bekannt. Eine Art Anleitung gibt es z. B. auf dem Satzsitz, ebenfalls in […]
[…] A&O schildert eine genaue Anleitung dazu, wie sich Versteckte Verse entdecken lassen. Unter #verstvers veröffentlicht sie auch Bilder in den Sozialen Medien. […]
[…] im Autorennewsletter The Tempest. Schöne Artikel und Anleitungen dazu haben auch Dirk Bathen und A&O […]
[…] schöne Anleitung zum Finden Versteckter Verse hat A&O auf ihrer Seite. Sie hat 2016 bei der Premiere des Literaturcamps Heidelberg auch eine […]
[…] Gemütliche Sitzsätze: Literaturblog von A. Oswald & S. Meister mit Anleitung und Beispielen […]