Gretchen Sackmeier und das A&O
MusikerInnen werden häufig gefragt, von wem sie in ihrem klangvollen Schaffen beeinflusst wurden. Meistens gehen die Antworten in Richtung BeatlesMadonnaMotown oder so. Mein Buchstabenherz klopft durch Nöstlinger-Antrieb. Das ist mein großer Name im klanglosen Schaffen, nach dem aber natürlich auch niemand fragt ;) Mein Wortschatz ist für immer von ihr geprägt. Und mein Denken auch, verpackte sie in lockerschmissige Jugendliteratur doch mal eben solch (besonders „damals“ in den 70ern und 80ern) „kinderbuchferne“ Themen wie:
- Konsumkritik und Umweltschutz
- Scheidung und Affären
- Mütter abseits der tradiert eingezwängten Mutterfigur
- erste Lieben, in all ihrer komplexen unrosa Kompliziertheit,
- Offenheit für sämtlich Menschen-relevantes (um mal z. B. Körperfüllen, Liebesleben und Herkunftsländer galant zusammenzufassen)
Ich nehme einfach mal an, dass die meisten in ihrem Leseleben schon einmal an einem Kinder- oder Jugendbuch von Christine Nöstlinger vorbeispaziert sind. Ein paar von euch haben das ja netterweise in meinem ersten Teil des Zitatdenkmals für Christine Nöstlinger schon entsprechend kommentarig kundgetan :). Den Wort-Weg in ihre Satz-schlauen, ausdrucksoriginellen und kernkräftigen Geschichten kann und sollte man immer wieder antreten, neu und erneut. Ich möchte euch kurz erzählen, was das A&O mit Christine Nöstlinger und ihren Büchern, wie z. B. die Gretchen Sackmeier-Trilogie verbindet. In der Schule war ich sehr wortstill. Aber in der Oberstufe habe ich einmal im Unterricht freiwillig meine aktuelle Kurzgeschichte vorgelesen (es ging um einen Jungen namens Lars Potter – nein, nein, nicht vom magischen Harry beeinflusst, sondern eher der Dawsons Creek ansässigen Joey huldigend – und ein Spotlight auf seine morgendliche Busfahrt). Diese Geschichte war mir nah am Herz gewachsen und dann auch tatsächlich so gut, dass ich sie zu einer Adventsveranstaltung öffentlich in der Schulbibliothek vorlesen durfte. Ein unbeschreibliches Gefühl, besonders, wenn man innerlich eher auf wackeligen Selbstbewusstseinsfüßen steht. Wollte dies damals unbedingt an Christine Nöstlinger schreiben, und die (natürlich von ihrem „Einfluss“ triefenden) Geschichte beilegen. Habe sie zu diesem Zweck extra aus dem Deutschheft gerissen. Ist dann aber von der Hosentasche in die Waschmaschine und so nie bei der österreichischen Autorin gelandet. Mein Zitat-Denkmal soll ein kleiner Ersatz dafür sein.
Zitat aus Christine Nöstlingers Gretchen Sackmeier
Mütterliche Reaktion auf töchterlichen Bericht über das „Knutschgeprahle vom Kalb“ (Florian Kalb), das nicht offen als Freund zu Gretchen steht:
„Eine Wut, eine brandrote Wut krieg ich“, rief die Mama, „wenn ich mir vorstelle, wie da etliche blöde Knaben wie die Kikeriki-Hähne zusammenstehen und über dich und deinen Busen herziehen! (…) Da kommt mir doch die grünschillernde Galle hoch“, fachte sie ihrem Spiegelbild zu. (…) Gretchen hockte tief beeindruckt und tief bedrückt in der Badewanne. So einen mütterlichen Gefühlsausbruch hatte sie noch nicht erlebt.
Meine Version: Oetinger, 1981, dort mittlerweile sogar als E-Book erhältlich.
Zitat aus Christine Nöstlingers Gretchen hat Hänschenkummer
Wie ein krankes bettlägeriges Gretchen, ein badender Hinzel auf Pflegebesuch und ein spontan hereinschneiender Gretchen-Papa ungünstig in der Wohnung zusammentreffen und dieser Umstand der verwirrten Gretchen-Mama nachträglich erklärt wird.
„Ach, du grüner Dünnschiss“, sagte der Hinzel. „In Wirklichkeit ist nichts los. Ich habe gerade gebadet und mir die Haare gefönt, und da hat’s geklingelt und Gretchen hat gemeint, das wird der Briefträger sein, und da bin ich raus, so wie ich war …“ Der Hinzel deutete aufs Handtuchkilt, „und jetzt denkt der Herr Tugendwächter, ich wär glatterwegs aus Gretchens Bett gekommen.“
Meine Version: Oetinger, 1983 (dort nicht mehr erhältlich).
Zitat aus Christine Nöstlingers Gretchen mein Mädchen
Wie Gretchen per verdutzter Verfolgung eines Telefonkabels geheim-gesäuselten Muttern-Telefonaten auf die Spur kommt:
Gretchen verfolgte das straff gespannte Telefonkabel vom Wandauslass, die Wand entlang, um die Ecke, zur Klotür. Das Telefonkabel verschwand unter der Tür. Die Klotür war geschlossen. Die Mama hatte sich so weit als nur möglich, und das war so weit, wie es das zehn Meter lange Telefonkabel zuließ, von ihrem Nachwuchs entfernt. Sie hockte mit dem Telefon auf dem Klo!
Meine Version: Oetinger, 1988 (dort nicht mehr erhältlich).
Drei Mal Gretchen zum zweiten Zitat-Denkmal. Ist natürlich immer sehr aus dem wohlklingenden Zusammenhang gerissen. Hoffe aber, die Nöstlinger’schen Sätze und ihr Gretchen wirken dennoch. Und vielleicht habt ihr sogar ein Lieblingszitat? Amüsiert haben mich ja auch die Fundstücke in den wiederentdeckten Büchern. Eines war hinten sehr gemustert, diente wohl mal als Herbstblattpresse. Ein anderes (siehe Bild) beherbergte zwei Jacko-Schnipsel aus der Bravo. Findet ihr auch manchmal lustige Dinge zwischen älteren Buchseiten? :) Es grüßt – vor dem Zitat-Denkmal lächelnd – das A&O
Servus, Alexandra.
Twitter-loser, der ich bin, texte ich Dir meine Antworten auf 3 tweets hier unter. Im musischen Hintergrund die Musik zu Jane Campions ‚The Piano’…
Poldi wirkt auf dem Beweisfoto auch reichlich betroffen über seine Lage. Feinfühliges Portrait. Anmerkenswert fotografiert.
Weiters ein Schuß Fußzertrümmerung für das „entscheidende“ Mehr an Absatz-Zentimetern. Es geht doch nichts über das Modediktat – auch eine Variante der Diktatur. Klonierte „Schönheit“ und geklontes Radio (antenne1) paßt aber auch irgenwie zusammen.
Doch, noch ein paar Zeilen zum obigen Post!
„Wortstille bedeutet nicht einen Mangel an Gedankenvielheit. Wortstille ist nur ein Siegel für die Einsicht, dann zu reden wenn treffliche Worte Gehör finden wollen.“
(Gaelle Mutin-Mutisme)
Nun, ein wackeliges Stehen auf den Selbstbewußtseinsfüßen würde ich Dir heute nicht mehr abnehmen wollen. :-) Eigenes zu Gehör zu bringen ist aber auch ein vitaler Schauer reiner Energie. Wie ich letzens sah hast Du zumindest 1 Story in einer Anthologie veröffentlicht.
Im Waschgang verwaschene Literatur wie verräterische Telefonkabel legen wohl Zeugnis ab von den analogen Zeiten des kommunikativen Austausches. Wäre wohl heutig kein Problem mehr.
Mein Fund in einem Flohmarktbuch – Wilhelm Busch – war einst ein Einkaufszettel. Aufgelistet: Knäckebrot / Birnen / Pariser – in etwa.
bonté
Geschichten an Autoren habe ich noch nie geschickt – wobei ich nicht genau weiß, woran es liegt. Zu lange her :) und meine alten Sachen wurden selten fertig. Ich wollte nie Kurzgeschichten schreiben, immer schon Monsterepen. Und ehe sie fertigwurden, entwuchs ich ihnen.
Danke für die Zitate :). Meine Schwester kam irgendwann mit einem Gretchen³-Buch nach Hause, das alle Gretchenbücher enthält. War eine schöne Erinnerung für mich.
Zuerst dachte ich bei deiner Überschrift: „Hä? Christine Nöstlinger? Kenn ich nicht“. Aber dann hab ich Buch-Sammel-Bild erblickt und schlagrtig fiel mir wieder ein: „Gretchen mein Mädchen“! Hab ich gelesen! Mochte ich! :D
Ist zwar schon Ewigkeiten her und ich erinnere mich auch nicht mehr soooo genau an die von dir hochgelobte Stilistik, aber immerhin die Handlung ist mir in groben Zügen noch präsent. Also muss es gut gewesen sein. War für mich aber wohl nicht ganz so prägend wie für dich :)
Ich finde deine Denkmal-Huldigungs-Posts sehr sehr schön – einschließlich der kleinen Geschichte aus deiner Schulzeit. Als ebenfalls eher wenig selbstsichere Person kann ich mir vorstellen, was das für dich bedeutet hat :)
Jetzt aber mal ohne Witz die Frage: GIBT es denn das Wort „Kopfkino im Englischen“? :D Suchbegriffe sind schon wirklich interessant – absolut witzig, was da manchmal rauskommt :)
Und: Ja! Du bist immer willkommen im virtuellen Stuhlkreis ;D
Liebste Grüße
MelMel