Sitzsatz / Buchbesprechung

Spicken mit Shakespeare (The Winter’s Tale / Das Wintermärchen)

Es war einmal ein Semster im Anglistik-Studium, in dem ging’s um die wissenschaftliche Wurst … um des Pudels pädagogischen Kern … um jenen „Kerl“, nach dem mich immer alle fragen „Hast du dann auch Shakespeare gelesen?!“ und gleichzeitig niemand mehr „Welche Shakespeare-Komeptenzen können Sie für diesen ausgeschriebenen Job vorweisen?“. Jedenfalls musste damals die Lektüre her – da konnte selbst mein guter Freund, der Bücherwühltisch, nicht aushelfen. Also durchforstete ich dieses Internet nach „Gebrauchtbüchern“ aus England und fand den größten Schatz meines Bücherregals. Das ist das Wintermärchen von The Winter’s Tale einer englischen Schülerin. Nachdem es ihr offensichtlich als hilfreicher Spickzettel bei einer Klassenarbeit diente, landete es bei mir.

A Tale is a tale is a tale …

Cover von "The Winter's Tale / Das Wintermärchen" und handschriftliche Seite mit "Spickwissen"
„The Winter’s Tale / Das Wintermärchen“ oder Spicken mit Shakespeare
Das ganze Stück ist in der Originalsprache, also klar: auf Englisch. Doch am Rand findet sich – in shakespeareschmelzendschöner Schulmädchen-Handschrift mit lila + rosa Kuli – die „Übersetzung“ auf „Teenie-Englisch“. Ich starte mit dem Highlight (Act Three). Hermione sagt:

Sir, you speak a language that I understand not

Shakespeares Text am Rand zum Spicken handschriftlich in Slang übersetzt
Mein Schulmädchen übersetzt:

you’re talking crap.

Das Stück hat so seine besondere Art, Beschimpfungen euphemistisch wohlklingend zu verpacken. Nur drei Zeilen später schickt die fleißige Schülerin also erneut ihren schicken lila Stift an, Klarheit in Shakespeares Schwämereien zu schreiben:

more apparent anger / really loses his cool now

Spicken mit Shakespeare: Originaltext mit Notiz "looses his cool"

  Was wirklich geschah. Leontes antwortet Hermione:

Your actions are my dreams, You had a bastard by Polixenes

Natürlich ist noch nicht alles damit getan, die tatsächlichen Aussprüche und Ausbrüche zu entschlüsseln. Ebenso gilt es, den Spickzettel um die Botschaften zwischen den Zeilen bzw. in den „Regieanweisungen“ zu erweitern. 
Im vierten Akt wird der raue Ton melodiöser :

Enter AUTOLYCUS, singing.

Spicken mit Shakespeare: Originatext mit Beschriftung "happy go lucky"
Meine Buch-Vorbesitzerin notiert:

autolycus is hist seen as a happy-go-lucky bloke / first since anyone has sung

Happy und lucky fühle ich mich noch heute, dass mich dieses Buch gefunden hat. Wenn mich jemand fragt, ob ich Shakespeare gelesen habe, dann erzähle ich immer sofort von diesen wunderbaren „Spickzettel“-Notizen in rosalila-Teenie-Englisch.

Habt ihr auch schon einmal einen solchen (Spickzettel-)Buch-Glücksfang gemacht? Und: Wer hat noch Shakespeare gelesen, hm? Spicken mit Shakespeare … immer eine Reise wert.

8 Kommentare zu “Spicken mit Shakespeare (The Winter’s Tale / Das Wintermärchen)

  1. Haha, das ist echt cool ^^
    Ich bin leider noch nie so einem Buch begegnet, früher habe ich aber manche „meiner“ Romane mit Notizen versehen, die mich heute, wenn ich sie wieder lese, zum Schmunzeln bringen. Andere könnten damit wohl nichts anfangen, denn eigentlich sind alles Insider-Witze. Aber ich habe auch nicht vor, die Schätzchen herzugeben (:

    Schönen Sonntagabend wünsch ich dir!

    Jacy

  2. Shakespeare love… abr nicht mit so tollen lila botschaften :-(

  3. Total witzige Sache! Und ganz schön praktisch, wenn man das shakespeareanenglish mal wieder nicht so gut versteht ;) leider ist mir so was cooles noch nicht untergekommen, aber ich bin recht stolz auf mich, immerhin schon zwei shakespear stücke gelesen zu haben, nämlich the tempest und a midsummernight’s dream :)

  4. Ist das geil….

    Ich habe „Romeo und Julia“, „King Lear“ und etliche anderen bereits gelesen – besitze aber eine vollständige Ausgabe von ALLEN Werken Shakespeares, auch der Sonette etc.
    Eigentlich lese ich Stücke des alten Briten recht gerne :).

  5. Da hast du aber wirklich etwas besonderes ergattert :D Das soll mal jedem eine Lehre sein (auch mir), der niemals Bücher kauft, in denen rumgekritzelt wurde :D
    Vor allem bei dem ersten Foto „you’re talking crap“ musste ich lachen :D
    Ich hab studiumsbedingt „Hamlet“ gelesen, aber in so einem Doppelsprachebuch, in dem links das englische Original und rechts die deutsche Übersetzung stand. Ohne hätte das auch wenig Sinn gemacht für mich ;P Demnächst steht noch „McBeth“ an. Das reicht dann auch an Allgemeinbildung ;D

  6. Uuuuuh, das freut mich sehr, das mein „Shakespeare-Sitzsatz-Schatz“ hier so viel Begeisterung hervorruft. Auf dem Flohmarkt habe ich letztens auch ein vollgekritzeltes Buch erstanden (es lohnt sich doch in 67 kisten alle 28470 Bücher durchzuflippen ;)). Das ist allerdings nicht von einem englischen Schulmädchen, sondern eher von einer deutschen Doktorandin. Mal sehen, was sich daraus basteln lässt ;)

    Und ich gestehe: Trotz Anglistik-„Karriere“: MacBeth, The Tempest und Midsummer Night’s Dream (plus ein paar wenige Sonette) sind die einzig weiteren Sh-Stücke auf meiner Liste. Hamlet und Romeo+Julia als Hollywood-Verfilmungen zählen dann mal nicht ;)

    Bis bald, ihr Lieben :)

  7. Selbst als studierter Mensch kann man ja gar nicht alles lesenwerte gelesen haben :) Wenn ich an die ganze deutschsprachige Literatur denke, die ich als angehende Germanistin noch lesen „muss“, krieg ich die Krise ;D
    Wobei speziell „Hamlet“ wirklich gut zu lesen ist (wenn man von der Dramen-Form mal absieht, aber damit muss man bei Shakespeare halt umgehen können^^) – ist ja auch ziemlich kurz und macht wirklich Spaß. Aber ich hab auch einen Faible für geisteskranke Protagonisten (passend zum „Haus des Wahnsinns“ ;) )
    Sollte ich jemals so ein cooles Exemplar eines Buches bekommen, werde ich auf jeden Fall berichten; bin auch schon gespannt, ob du etwas aus den Notizen deiner Doktorantin rausholen kannst ;)

    Liebe Grüße :D

  8. Feel free to be greeted, Alexandra.
    „Teurer Horatio…“, nun ich beäuge den Geheimnis feuchten Engländer weitaus mehr aus der filmischen Werkschau. Hier ist wunderbares an erlesenen Edelsteinen zu finden. In der Regel ein Faszinativ – obschon ein Baz Lurman aus „Romeo & Julia“ fast ein Schmierentheater destiliert hat.
    Aber – um dem Guten sein Recht an Sitz & Stellung zu gewähren – die süperbe Werkschau ist mehr das zu sehende. Nicht zu vergessen die Kleinodien, die den Film um die Inszenierung eines Stücks feiern. Wenn die Tragödie vor der Bühne, Drama wie Kömödie auf und hinter der Selbigen zu einem einzigen Reigen vereint. Zeithistorische Werke nicht zu vergessen.

    Nun denke ich, daß Shakespeares Worte besser gesprochen ihre Seele preisgeben, denn gelesen.

    „Der Rest ist Schweigen…“

    Mylady!

    bonté

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