Briefe an Romanfiguren und "Dinge"

Brief an meine polyamorösen Handschuhe (Leselicht / 3. Advenzsitzsatz)

Liebe Handschuhe,

17 einzelne blaue und schwarze Handschuhe, die locker auf dem Boden liegen.
Meine polyamorösen Handschuhe.

was euch und mich und unser Verhältnis zueinander betrifft, kann man am besten von einer Zweckverbindung sprechen. Ich habe im Winter kalte Pfoten, ihr seid das Stück Stoff, das Wärme verspricht. Was bekommt ihr von mir dafür? Eine Reise durch die Welt per Minimalradiusverbindung. (Will ich mal sehen, wie ihr sonst auf zwei Wollfingern laufend durch Stuttgart kommen wollt!). Wärme-win gegen Welt-win also.

Zu dem Zweck der Zweckverbindung wohnen wir unterm selben Dach. No strings attached, wie man so schön sagt. Dieser Freiheit folgend beschließen manchmal einzelne von euch, ihr Faden-Leben fortan selbst in die handlose Handschuh-Hand zu nehmen (sei es auch in der letzten Ecke der einen ollen Tasche, die man zuletzt vor dem Millennium benutzt hat). Find ich gut. Selbstverwirklichung kann in ihrer großen Großartigkeit auch von kleinmaschigen Hausbewohnerinnen, liebe Handschuhe, angesteuert werden (und sei es auch unter den Kaugummi verklebten Sitzen diverser öffentlicher Verkehrsmittel). Schreibt mir doch mal ’ne Postkarte, wenn ihr angekommen seid. In Tübingen zum Beispiel, wenn eure Bahn da hinfährt. Manchmal wüsste ich nämlich doch ganz gerne, wo ihr nun eigentlich gelandet seid. Sonst, wenn ich jemanden aus den Augen verloren habe, suche ich die Person im Internet. Beziehungsstatus: Getrennt und es ist kompliziert? 9 anderen Handschuhen gefällt das!

Illustration von drei roten Kerzen mit der Aufschrift "Leselicht" für den Brief "Liebe Handschuhe"
Advenzsitzsatz zum dritten Advent (Klicken zum Vergrößern).
So etwas würde euch nie passieren. Nicht das virtuelle Profil meine ich, sondern komplizierte (Nicht-)Beziehungen. Kenne kaum eine andre Lebensform, die Polyamorie so geschmeidig unter einen Strickhut bekommt wie ihr! Weder begrenzt ihr eure Identität auf feste Rollenbilder (alle meine Handschuhe kann ich sowohl links als auch rechts tragen) noch beschränkt ihr euer Miteinander auf vordefinierte Äußerlichkeiten oder gar schnöde Zweisamkeit. Ja ja, „ein paar Handschuhe“, sagt die Tradition, sagt der Duden, sagt, was schwer und alt ist. Viele Paare bedeuten eine Meute kribbelnder Fingerformen. Von euren farbfeierlich polyamorösen Kombinationen können viele noch lernen. Schuhe zum Beispiel. Oder Leute, die in den konservativ (be)drückenden Schuhen stecken.

Locker verbunden, wie wir miteinander sind, haben wir uns nie etwas versprochen. Doch eines möchte ich euch heute noch verraten: Sollte ich es in diesem Leben noch lernen, geradeaus zu häkeln (i don’t even häkel straight), dann werde ich euch, liebe Handschuhe, eure Wunschpartnerinnen aus Wolle herbeimaschen. Solltet ihr dann doch einmal weggehen (go astray trifft es so passend auf Englisch), dann werdet ihr mich dafür doch immerhin auf Facebook adden?

Gehäkelte Freundschaftsanfragen sind die erwärmendsten.

Und nun lasst alle Fünfe gerade sein und verliert nie die Autos aus den Augen. Eines Tages werdet ihr das für euch geschaffene Fach zurückerobern! Dann könnt ihr alle zusammen dort drinnen durcheinander übereinander liegen. Und wärmt nur noch euch selbst.

Bis dahin dankt für eure Dienste

das stets kaltflossige (und dafür meist heißfüßige) A&O


Habe vor Staunen fast meine Handschuhe vergessen, als ich bemerkt, habe, dass mein letzter Beitrag in der Kategorie Briefe an Romanfiguren und Dinge noch aus dem letzten Jahr stammt. Hat der dritte „Advenzsitzsatz“ ja gerade noch einmal die Statistik gerettet ;) Im Leselicht ist noch Leuchtplatz frei: Was wolltet ihr euren Handschuhen schon immer mal schreiben? :) Stimmt es eigentlich, dass das „Handschuhfach“ seinen Namen den kriminellen Autofahrern des letzten Jahrhunderts zu verdanken hat? Kann aber auch Mythos statt Etymologie sein … Es grüßt das A&O (gerade einen Handschuh tragend, weil im Winter am Läppie immer die „Maushand“ abfriert).


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2 Kommentare zu “Brief an meine polyamorösen Handschuhe (Leselicht / 3. Advenzsitzsatz)

  1. Grüß Dich, Alexandra.
    In meinem Schrank – der für die Klamotten zur Arbeit – lagert ein ganzes Fach mit (eben) Arbeitshandschuhen. Geregelt gelb – aber auch in schwarz/grün oder schwarz/orange. Wobei hier nich eine Odyssee zum Schicksal wird; weit eher schlägt die Ermüdung im Material zu. Farewell!
    Überliefert ist, daß in frühen Zeiten der Handschuh zwei stets mit einer langen Kordel aneinander gebunden waren. Gingen also schon früh gern verlustig. Wohl auch, weil der Mensch gern seine Finger fürs Filigrane nutzt. Weniger die Zehen! :-)

    Nebenwichtige Beobachtung:
    Menschen (zumeist männlich) gelten als in Schußeligkeit zerstreut, wenn sie verschiedene Socken tragen. Unterschiedliche Handschuhe gelten dagegen als krea-hoch-tiv. Vermerkenswert.

    Heißfüßig?!
    Du hast den Tango in den Zehen!?

    Wie gewohnt denn

    bonté

  2. Ich besitze ein einziges Paar Handschuhe – und das ist fingerlos *g*. Ich trage meine Nägel sehr lang und habe lange Finger, aber schmale Hände. Die meisten normalen Handschuhe passen mir also nicht oder nerven mich (weil ich sie ausziehen muss um z.B. am Handy zu schauen, in welchen Hörsaal ich muss).
    Darum welche ohne Finger *g*.

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