Ausstellungen und Ausflüge

Lieber Schiller statt Tschiller! Literarischer Ausflugstipp: Ein Sonntag in Marbach/Neckar

Schiller Statue auf der Schillerhöhe in Marbach vor einer imposanten Baumast-Kulisse

Lass Zeilen sprechen!

Wie war das wohl. Damals. Als er die Tinte in den Füller aufzog, das Papier zurechtraschelte und die heute so berühmten Worte aufs Papier brachte. Wo saß er? Welche Tagszeit war’s zu der er schrieb? War seine Stimmung bewölkt, das Wetter heiter oder umgekehrt? Kritzelte er rasant, so schnell die Feder den Ideen nur nachspurten konnte? Oder war jeder Buchstabe eine Qual, floß dickflüssig zu einem schweren Satz zusammen, der sich im Kopf noch beim Schreiben drei mal verändert hatte? Was hat er gedacht, als er schrieb, oder während er diese geheimnisvolle Kritzelei an den Rand malte?

[Tweet „Als Kafka schrieb. War seine Stimmung bewölkt, das Wetter heiter oder umgekehrt?“]

Wer von euch schon mal vor einem Originalmanuskript stand, lange darauf starrte und dabei immer näher an die Vitrine rückte, bis die alte Tinte hinter gehauchten Fragezeichen verschwand, weiß, welche Faszination ich gerade heraufbeschwören möchte. Erste Frage, die es zu klären gilt: Wer ist dieser „er“, den ich in obigen Zeilen mit Neugier umzingle? Kafka. Schiller. Und einige weitere namhafte Herren. Tatsächlich wenige Frauen, aber heute bin ich friedlich und belasse es bei einem Link auf #readwomen2014 ;)

Jene beiden Autoren, beziehungsweise deren Original Schrifstücke, lassen sich aktuell in Sonder- und Dauerausstellungen in Marbach/Neckar bestaunen. Für alle Literaturliebenden ein absolut empfehlenswerter Tagesausflug: Literaturmuseum der Moderne, Schillermuseum und Schillers Geburtshaus. Drumherum schönste Fleckchen Altstadtstädtchen, das einen Schlenderbesuch wert ist. Diese drei Etappen werde ich folgend anhand kleiner Sätze und großer Bildergalerien vorstellen und euch wortwärmstens ans Herz legen.

[Tweet „Tipp: Im Literaturmuseum der Moderne ist es kühl, auch an warmen Tagen bedenken!“]

Zugegeben, der Ausflug fand bereits vor einem Monat statt, weshalb die heutige frühzeitige Frühlingssonne auf den Bildern noch durch Abwesenheit glänzt. Aber deren Bescheinung sind für die wertvollen Papierschätze in Marbachs Literaturachiven ja leider sowieso Strahlen gewordenes Gift. Steigt man im Museum die Treppe zu den Ausstellungsräumen hinunter, wird es spürbar kühler und auch dunkler. Der perfekte Lebensraum für jahrhunderte alte Manuskriptseiten. Praxistippnummer eins: Auch an wärmeren Ausflugstagen nicht allzu luftig gekleidet ins Museum einchecken. It’s chilly inside!

Alle eingangs getippten Fragen kann ich euch natürlich nicht beantworten. Aber wir können uns ja gemeinsam auf eine spekulative Spurensuche begeben. Und wie ihr in der zweiten Gallerie feststellen werdet: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mindestens einer der beiden während des Schreibens blaugestreifte Socken trug … ;)

Der ganze Prozess: Kafkas Manuskript im Literaturmuseum der Moderne

161 Blätter, zehn Quarthefte, ein unvollendeter Roman und dazu weitere Entwürfe und Tagebucheinträge.

Kafka wollte sich für seinen Roman Der Prozess nicht verzetteln und beschloss, sowohl Anfangs- als auch Endkapitel gleich zu Beginn zu schreiben. Ein fester Entwurfkasten, der „nur“ noch mit den eingentlichen Inhaltspaketen aufgefüllt werden müsste. Was als antilinearischer Überlistungsversuch begann, endete in einer formvollendeten Verzettelung im wortwörtlichen Sinne: Kam Kafka im Schreibfluss nicht voran, begann er in einem separaten Heft eine neue Erzählung niederzuschreiben.

So hatte er schnell mehrere Quarthefte gleichzeitig in Bearbeitung. Um deren Anzahl zu begrenzen, drehte er einige einfach um und schrieb den neuen Text vom Ende her. Solange, bis zwei Geschichten auf ihrem fortschreitenden Wortweg letztlich kollidierten. Dann sprangen sie in widerum andere Hefte über und wurden dort fortgesetzt. Kaum vorstellbar, wie jemand jemals diese Seiten in einen sinnvollen Zusammenhang ordnen konnte. Vielleicht … gehörten sie ja auch anders zusammen? Ursprünglich, in Kafkas Kopf?

Die Ausstellung an sich bietet genau das, was ihr Titel ankündigt: den ganzen Prozess. Darüberhinaus setzt lediglich eine kleine Begrüßungssäule den Inhalt der Vitrinen in einen biografischen und zeitgenössischen Kontext. Ansonsten gibt es nur Papier. Voller Tinte. Durchgestrichene Passagen. Mehrfach numerierte Seiten. Kopfstehendes. Kafkaeskes? Auf jeden Fall K’s! Überall stechen sie optisch aus dem Schriftbild heraus: lang geschwungene Ks, deren rechtes Buchstabenbein sich oft bis in die nächste Zeile und über mehrere ihnen folgende Letter hinwegstrecken.
[Tweet „Kopfstehendes. Kafkaeskes? Auf jeden Fall K’s! „]

An ihnen hangelte ich mich entlang. Während meine Augen die Seiten abscannten. Bekanntes zu entziffern versuchten. Im Prozess dem Heizer aus Der Verschollene begegneten. Und ihn irgendwie zu fühlen versuchten, den Menschen hinter der Feder, die so schöne Ks aufs Papier schaukelte. Für manche sind es nur beschriebene Blätter. Für andere können sie ganze Geschichten erzählen. Fällt euch ein eigenes Urteil über den ganzen Prozess!

Alle Infos auf einem Satzsitz-Blick:

  • Ausstellung: Der ganze Prosess (Wechselausstellung)
  • Was genau: Yap. Der ganze Prozess. Jede einzelne Manuskriptseite.
  • Wo: Deutsches Literaturarchiv Marbach
  • Wie lange noch: Verlängert bis zum 21. April 2014

Schillers Stundenplan im Schillermuseum Marbach

Das Tolle an meinem empfohlenen Tagesausflug ist: Einmal Eintritt eröffnet Einlass in beide Museen: Schiller-Nationalmuseum und Literaturmuseum der Moderne. Sonntags um 11 Uhr gibt es zudem eine im Preis inbegrifene öffentliche Führung durch die Dauerausstellung. Was das Schillermuseum in Einzelnen bietet könnt ihr erkunden, indem ihr meine Bilder anklickt (Beschriftung kommt nur in der geöffneten Variante). Neben Manuskripten, Erstausgaben, einem putzigen Stundenplan, Statuen und Zeitgenössisches gibt es auch Kurioses wie einen Garn den Schillers Mutter spann oder einen Gänsekiel, den Schiller als Zahnstocher nutze. Personenkult ist eben keine Erfindung der Boygroupfans ;)

Alle Infos auf einem Satzsitz-Blick:

  • Was und wo: Dauerausstellung im Schiller Nationalmuseum
  • Was genau: Zeitgenössische Literatur, Schillers Schriftstücke und Ausstellungsstücke aus dem Leben des Dichters
  • Wie lange noch: Immer zu den regulären Öffnungszeiten des Deutschen Literaturarchivs Marbach

Im Museum und um Marbach herum

Wer solange in Vitrinen geschaut hat, mag sich auch mal die Füße vertreten. Der Weg führt dabei wahrscheinlich nach dem im Schillermuseum befindlichen Cafe über den Shop (nein, blauweiß gestreifte Socken gibt es merkwürdigerweise dort nicht zu erwerben), an der Schiller Statue (siehe Beitragsbild gaaaanz oben) vorbei durch Marbachs beschauliche Altstadt. Eher zufällig als geplant stolperte ich dabei noch über Schillers Geburtshaus. Eine engagierte und sichtlich Schillerstolze Kartenverkäuferin gab, noch aus der Ticketbox heraus, mehrminütigen Einblick in des Dichters Babyjahre und die Geschichte seiner Eltern. Zu sehen gab es denn auch … ein entzückend altes Fachwerkhaus, das mich mehr durch seine überhaupt nicht parallel zueinander verlaufenden Wände als seine kleinkinddichterische Vergangenheit begeisterte. Vielleicht konnte ich aber auch wirklich keine Vitrinen mehr sehen. In den drei dort aufgestellten gibt es z. B. Schillers Taufkäppchen zu sehen und neben dem ausliegenden Gästebuch ein Video der Queen, wie sie sich in selbiges (bzw. ein vorhergehendes) einträgt. Auch hier gilt: Man möge sich sein Urteil selbst fällen. Aber nicht zu schräg. Sonst fallen die Fachwerkwände um ;)


Zu Fuß durch Marbach (in Schillersocken?):


[Tweet „Sonntags abends lieber Schiller statt Tschiller! #tatort“]

Fast einen Monat habe ich die Zeilen für diesen Beitrag nun vor mir hergeschoben, wollte ich sie doch so schön schillernd wie möglich eintippen. Nun habe ich’s doch in einem kurzen Rutsch geschrieben. Nie geht das besser als sonntags abends, während man nicht den Tatort mit Till „Tschiller“ Schweiger guckt ;)
Ward ihr schon mal in Marbach? Wo wandelt ihr sonst auf literarischen Spuren? Welches Muster haben eure Socken? Und hat überhaupt jemand bis zum Ende gelesen? Es grüßt mit schwungvollem ampersand-Zeichen: das A&O

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9 Kommentare zu “Lieber Schiller statt Tschiller! Literarischer Ausflugstipp: Ein Sonntag in Marbach/Neckar

  1. Deinen aufmerksamen, nachspürenden Gang durch das Literaturmuseum der Moderne nachzulesen hat mir mehr Freude gemacht als mein letzter eigener Besuch dort! Ein schöner Bericht.

  2. Ich finde es gut, dass ich gerade Tschiller schauen konnte und direkt danach mit Dir zu Schiller reisen durfte… Und ja, ich habe bis zum Ende gelesen. :-)

    • Das ist tschön, wie im Turnuntericht Seil klettern und dann ganz oben an der Glocke bimmeln hihi ;)

  3. Du hast mir mit diesem Beitrag sooo viel Lust gemacht, mir die Museen selbst anzusehen, dass ich am Liebsten sofort hinbeamen würde. Denn im Moment bin ich gute 400 Kilometer entfernt.
    Vielleicht schaffe ich es aber im April noch rein, denn wie gesagt – dein Beitrag macht sehnsüchtig, sich selbst hinzubegeben.
    Danke fürs Posten!

    • 400 km? Hmmm …in Österreich bist du schon mal nicht? ;) Solltest du ins Marbacher Museum, sag gerne Bescheid, wenn du magst :)

  4. Vielen Dank für die Tipps! Ich habe noch ein bisschen Freizeit, bevor der Ernst des Lebens wieder los geht und schaue mich gerade überall nach kleineren Ausflugszielen um.

    Was mich bei originalen Manuskripten immer so fasziniert: dass ich die Sauklaue meistens nicht entziffern kann und ich mich frage, wie andere das konnten *lach*

    Hast du eigentlich schon mein Gewinnspiel entdeckt? Ich würde mich freuen, wenn du mitmachst! :)

    https://little-miss-head-in-the-clouds.blogspot.de/2014/03/welcome-home-gewinnspiel.html

    Viele liebe Grüße

    Jacy

  5. Hi, Alexandra.
    Deine Blauwort-Cascade & Foto-Lobby verlangt nach der zeitlichen Weite eines verregneten Wochenendes.
    Bis dorthin geh‘ ich meine Wörter einschmieden. ;-)

    bonté

  6. Ich habe die Ehre, Madame.
    Im ersten Eindruck kam mir die Ähnlichkeit des Fotos (Teil, oben!) mit der Struktur eines Gehirns in den Sinn. Passend wenn nach unten hin Boy Schiller auftaucht.

    Franz wird sein handgeschriebenes (Zeit-)dokument in der Stube verfaßt haben. Abendnächtens, in einer Stimmung, die im Ideal der Fälle melancholisch gewesen wäre.
    Ob er vor den polierten Stechstiefeln geflohen wäre?

    In Zeiten von Text-Rechnern, copy&paste oder gar generierten Textbausteinen wird einem das Handwerk früherer Dichter doch bewußter. Wortdrang und Struktur stolpern bei unzähligen Blättern häufiger über einander. Korrektur, Ausschnitt – alles verknüllt sich zu einem Komplex aus Tinten. Chapeau für jede Reinschrift davon.
    Bedenkt man/frau, daß all dies Flammen hätten verzehren sollen. Und Kafka ist dabei nur prominent gewordenes Symbol für eine Unmenge vergessener Dichter jener Literaturepoche. Oder Menschen, die schlicht daran gehindert waren, sich in Kunst zu faßen.

    Potzzehner – Schiller trug Beinwärmer?! :-D

    Bei Geburtshäusern großer Namen kommt mir doch immer wieder in den Sinn, daß sich die öffentlichen Menschen zu ihrer Zeit stets derart überernst zu geben suchten. In versteiften Portaits kann man/frau sich zumindest nicht vorstellen, daß sie sowas wie Sex hatten.

    Altes Fachwerk – des öfteren werden hier Besucher daran erinnert, daß der neuzeitliche Mensch um entscheidende Zentimeter in die Hähe geschoßen ist. :-)
    Monk’s House schon einmal beehrt?!

    Vor sich her geschobene Worte türmen sich gern zu einem Ungetüm auf. So besehen können wir Leser uns wohl bei den Verpflichtern von Till „Tatort“ Schweiger bedanken – ohne wär ein feiner Post noch länger auf Halde gelegen.

    Meine Socken sind in der Regel blau (Freizeit) oder schwarz (Arbeit).

    Ich lese mich hier grundsätzlich gern und mit viel Gewinn durch jede Deiner Wortgezeile.

    bonté

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